Letzthin hatte ich hier schon einen Artikel von Mariana Mazzucato gepostet: Visionen braucht das Land – endlich! Nun ist sie im New York Times-Podcast “Sway” von der großartigen Kara Swisher interviewt worden. Eine Dreiviertelstunde intensives Gespräch über die Notwendigkeit, einen unternehmerisch denkenden Staat zu fordern, der nicht nur hinter dem Schlamassel des Marktes hinterher fegt, sondern selbst zentrale Forderungen stellt, wie mit seinen öffentlich geförderten Techniken und Krediten umzugehen sei.
Zentral bei solchen Vereinbarungen zwischen Staat und privaten Unternehmen sei dabei, klare Ziele zu definieren, die der Menschheit dienen und den privaten Markt daraufhin auch in die Pflicht zu nehmen. Es gelte aufzuhören, die Art von Wirtschaft zu finanzieren, die eine Bedrohung darstelle – sei es für ihre Mitarbeiter*innen, die Gesellschaft als solche oder für die Politik. Stattdessen müssten sich die staatlichen Initiativen zentral an den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung orientieren und Unternehmen auffordern, von dort aus rückwirkend zu überlegen, was sie zur Zielerreichung aktiv beitragen können.
Das ganze Interview ist wirklich sehr hörens- oder lesenswert, denn das Transkript steht vollumfänglich zur Verfügung und könnte gegebenenfalls in deepl geschubst werden.
- Sie besprechen z.B. die Frage der Privatisierung von Patenten, die auf der Basis öffentlich geförderter Anschubfinanzierungen entstanden sind.
- Sie zeigen auf, dass der Staat durchaus auch Anteile an erfolgreichen Unternehmen übernehmen sollte – und nicht nur an defizitären.
- Sie gehen wieder zentral auf das Apollo-Programm von Kennedy ein, von dem ich in dem oben verlinkten piq bereits berichtete.
- Sie diskutieren, wie man die Big Tech-Unternehmen wieder in den Griff bekommen könne. (Schwierig, weil zu spät!)
- Sie machen Mut, dass sowohl in den USA als auch in Europa jetzt die Kreditlinien direkt an die Bekämpfung der Klimakrise geknüpft sind – und die öffentliche Hand insofern dazu gelernt habe.
Schließlich bräuchte es für solch einen unternehmerisch wirkenden Staat aber eine breitere Kompetenz für Entrepreneurship in der Bevölkerung. Dabei spricht sich Mariana Mazzucato für eine intensivere kulturelle Bildung aus, denn Menschen seien nicht von Natur aus als Unternehmer*in geboren, sondern sie bräuchten ein passendes Ökosystem dafür. Ich lasse sie hier gerade selbst sprechen:
Ich meine, sicher, aber das setzt auch voraus, dass die Menschen das haben, was Amartya Sen, ein Wirtschaftsnobelpreisträger, als eine Art von Fähigkeiten und Möglichkeiten bezeichnet hat, die ihnen überhaupt den Zugang zum Engagement ermöglichen. Wenn wir uns wirklich darum kümmern wollen, dass die Bürger*innen unternehmerisch tätig sind, müssen wir uns diese horizontalen Bedingungen ansehen. Eine wirklich gut finanzierte, gut strukturierte – es geht nicht nur um Geld – öffentliche Bildung. Lassen Sie es uns einfach noch einmal ausrufen – öffentliche Bildung. Denn ich glaube nicht, dass ein Einzelner ein Unternehmer ist. Wir brauchen ein unternehmerisches Ökosystem, das diese Fähigkeit wirklich verteilt. Es ist einfach so interessant zu sehen, wie alle Kinder, die ich in London kenne, von der Mission für einen plastikfreien Ozean wissen. Nicht, weil ein Akademiker oder ein Minister oder ein Wirtschaftsführer darüber gesprochen hat, sondern weil es einen wirklich guten Dokumentarfilm von David Attenborough mit dem Titel “Blue Planet” gab, der die Fantasie der Leute wirklich angeregt hat. Wenn wir also über Innovation sprechen, dann geht es nicht nur um das Wettrennen im Weltraum und so weiter. Es geht darum, den kreativen Sektor, die ganze Kraft der Poesie, des Theaters, der Musik zu nutzen und die Menschen – alle möglichen Menschen in allen möglichen Lebensbereichen – dazu zu bringen, ihre Lebensweise zu überdenken und zu überlegen, welche Art von Gesellschaft wir wollen.
Und dies ist genau der Punkt: Es geht bei der bildungspolitischen Diskussion nicht darum, was jetzt noch alles ins schulische Curriculum zu packen sei. (Lieber deutlichst entschlacken!) Vielmehr gilt es ein gesamtgesellschaftliches sozio-kulturelles Mindset zu entwickeln, was sich selbstverständlich ko-kreativ ausprägt und Lust macht, Dinge zu entdecken und zu gestalten.
Also nochmal in kurz: Absolut hörens- oder lesenswert, dieses Gespräch zwischen zwei klugen Frauen!
Artikel am 7. April 2021 erschienen auf Piqd als Hinweis auf die New York Times-Podcastfolge Stop Whining About Big Government