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#NEWLEARNING @ #HAGENERMANIFEST

Anja durfte im Spätsommer als Erstunterzeichnerin ein Statement für das Hagener Manifest der Fernuni Hagen zum Thema #NewLearning zuliefern.

Wir hatten bereits im Oktober auf Instagram davon berichtet, fügen das Statement aber unten nochmals hier ein, damit auch unsere Kreise rund um den Blog et. al. davon erfahren.

Statement von Dr. Anja C. Wagner

„New Learning“ hat als Begriff volles Potenzial, im Bullshit-Bingo-Ranking ganz nach oben zu gelangen. Positiv gefüllt ließe sich mit dem „Neuen Lernen“ jedoch die dringend benötigte kollektive Intelligenz entfachen. In Anlehnung an die New Work-Definition von Frithjof Bergmann ließe sich auch sagen, „New Learning” ermöglicht es, weniger auf die Erwerbsarbeit zu fokussieren, stattdessen mehr eine hochtechnologische Selbstversorgung im Sinne der Nachhaltigkeit zu ermöglichen und die Suche nach dem, „was man wirklich will” zu fördern.

Die VUCA-Welt trennt in ehemaligen Industrieländern die Menschen in a) High Profiler, die Innovationen voranbringen, b) eine erodierende Mittelschicht, die sich gegen die Automatisierung stemmt und c) eine wachsende prekäre Schicht, die Arbeit verrichtet, bei der Menschen (noch) günstiger sind als Maschinen. Das bedeutet, Lernen muss sich zwangsläufig wegbewegen von Bildungsstandards. Statt als Fleißbienchen Punkte und Zertifikate zu sammeln, gilt es heute eine resiliente Lernbegeisterung zu entfachen, um je nach Lebensphase sich ggf. immer wieder aufs Neue zu erfinden. Da die Gesellschaft nicht genügend sinnvolle Erwerbsarbeit bereitstellen kann, benötigen Menschen die Fähigkeiten und Rahmenbedingungen, um selbst initiativ werden zu können. Sich selbstbestimmt und selbstorganisiert lebenslang weiterzuentwickeln ist Grundvoraussetzung für das Neue Lernen am Puls der Zeit.

Mit dem Internet und der digitalen Transformation ist es heute längst möglich, sich regelmäßig informell oder non-formal weiterzubilden, so man denn weiß, wie das funktioniert. Die Aufgabe eines emanzipatorisch wirkenden Bildungssystems wäre es demnach, die Menschen vorzubereiten auf ihren digital unterstützten Lernpfad der Zukunft. Es geht dabei weniger um den konkreten Einsatz digitaler Medien oder Inhalte im Unterricht, sondern um neue Formen des selbstverständlichen Austausches im digital vernetzten Verbund. Der vielfältigen, multimedialen Wissenschaftskommunikation kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu. Ein bedingungsloses Lernguthaben, das allen Menschen zur Verfügung steht für persönliche Bildungsprojekte, wäre ein weiterer Schritt. Den digital vernetzten Lernraum im Internet mit vielen klugen Köpfen auszugestalten, das wäre ein Setting, in dem alle Menschen, die sich weiterentwickeln wollen, neu lernen können. Die bildungspolitische Macht muss den alten Gatekeepern, wie HRK, KMK, DIHK, BDA, DGB, BIBB, ZFU etc., entrissen werden!

Dr. Anja C. Wagner

Virtueller Kongress

Im Rahmen des virtuellen Kongresses am 27.11.2020 hat Anja dann gemeinsam mit Ines Müller-Vogt einen Workshop angeboten zum Thema Radical Visions: Bildungspolitik neu denken?

Als Beschreibung lieferten sie zu:

Das Bildungssystem ist fundamental defekt, um Menschen auf die digitale Transformation vorzubereiten. Hochschulen sind dabei Teil des Problems und nicht der Lösung. In diesem Workshop versuchen wir in einem schnellen kreativen Schlagabtausch in Miro, uns konstruktiv und kollaborativ vom Gegenteil überzeugen zu lassen: Wie könnten Hochschulen möglichst umgehend ihren Anteil an einer wirklichen Lösungsfindung zum Aufbau eines zeitgemäßen Bildungssystems beitragen? Lassen Sie uns gemeinsam denken! Einen provokanten Aufschlag bringen wir mit ein …

Wir hatten 40 Minuten Zeit für die Workshop-Durchführung und entschieden uns für einen interaktiven Quick & Dirty-Miro-Workshop, der mehr als Happening denn als ernstgemeinte Diskussion angedacht war. Über 30 Personen hielten bis zum Schluss durch und wir ackerten uns spaßvoll durch eine Vorlage. Die Idee war, vielleicht über solch ein kreatives Format Erkenntnisse zu gewinnen, die fern der üblichen Wiederholungen und “Hauptsache, dass wir gesprochen haben”-Statements lagen.

Ob dem so war, müssen uns noch genauer anschauen. Dazu braucht es etwas Zeit, die aktuell fehlt. Wir ergänzen dann diesen Beitrag – und kommunizieren dies über die üblichen Kanäle.

2 Antworten auf „#NEWLEARNING @ #HAGENERMANIFEST“

Liebe Anja,
als Pädagogin, die in der Grundbildung Erwachsener tätig ist, erlebe ich täglich, welchen bleibenden, menschlichen Schaden das jetzige Bildungssystem hinterlässt. Das Hagener Manifest spricht mir aus dem Herzen, da es gerade für Menschen, die den Mut zum Lernen verloren haben, neue Türen öffnen kann. Leider habe ich es nicht geschafft an deinem Workshop zum Hagener Manifest teilzunehmen. Ich würde dennoch gerne zwei Gedanken in die allgemeine Debatte einbringen, die ich sonst während deines Workshops in den Raum gestellt hätte:

Punkt 1: New Learning ist nicht neu

Die Sprache mit der wir neue Entwicklungen in den öffentlichen Raum setzen, hat sehr viel Macht. (Ich habe seit 2011 mit dem unmöglichen „funktionalen Analphabeten“ zu kämpfen!) Das wird mit dem Hagener Manifest nicht anders sein. Bei den Worten Bildung und lernen, z.B. denken die meisten Menschen an Schule und haben somit eine schulische Lernschablone im Kopf, die einer Kultur des lebenslangen Lernens nicht gerecht wird. Dadurch, dass Schule eine bewusst organisierte „Dekontextualisierung“ des Lebens darstellt, ist das schulische Lernen pseudotheoretisch und für das Leben nicht brauchbar. Es fehlt der Transfer in gelebte, komplexe Situationen, in denen ein Problem nicht vorgegeben ist, sondern erst auf Grund eigener Interessen oder Dissonanzen erkannt, verhandelt und benannt werden muss. Das Lernen Erwachsener im Leben ist immer kontextgebunden, denn es sind die Probleme im Leben, die Lernen auch ohne Schulpflicht interessant machen. Theorie und Praxis sind hier in einer interaktiven, dynamischen Beziehung und diese braucht, meiner Meinung nach, in der Diskussion um das Manifest eine bewusste, klare Sprache. Derzeit gehört Theorie (inkl. alles Wissenswerte zu new learning) gedanklich immer noch in die „wissende“ Bildungseinrichtung, die die richtigen Antworten produziert und diese im Internet grenzenlos verbreiten kann. Die pädagogische Praxis dagegen, bleibt der Lebensraum der Nachzügler, die sich verändern sollen, aber die Antwort einfach nicht kapieren! Dabei sind die meisten Gedanken zum new learning gar nicht neu, sondern im Rahmen einer emanzipatorischen, basisdemokratischen Lernerbewegung um Paolo Freiere und Ivan Illich entstanden. Neu ist allerdings, dass sich die Bildungselite in Deutschland im Rahmen der Digitalisierung diesen Gedanken annähert, weil sie die gemerkt haben, dass sie Kontrolle und Deutungshoheit verlieren.

Ich möchte den Begriff „New“ (active and dialogical) learning nicht ganz von der Hand weisen. Er hat den Vorteil, dass er das Wort Bildung umgeht. Der Begriff mag als Aufruf und Schlagwort effektiv sein, aber ersetzt nicht die harte Arbeit, die in der Erwachsenenbildung noch ansteht. Helfen uns die Konzepte des „new learning“ tatsächlich unsere problematische Praxis kritisch und diszipliniert zu reflektieren? Werden wir durch den Mehrwert des „new learning” Gedanken tatsächlich befähigt wirklich neue Wege zu gehen und die gesellschaftlich organisierte Spaltung von Theorie und Praxis zu thematisieren??

Punkt 2: Die Wechselwirkung von Finanzierung und Didaktik

Die finanzielle Grundlage jeglicher Bildungsarbeit, die in mainstream Einrichtungen stattfindet, beruht auf der Erfassung von „Teilnehmertagen“. Diese werden jedes Jahr an das Landesverwaltungsamt gemeldet und auf Grund der Teilnehmertage wird die Grundförderung der Einrichtung für das kommende Jahr berechnet. Das bedeutet im Klartext, dass Geld für Bildung (ob Schule, Ausbildung oder allgemeine Erwachsenenbildung) nur dann fließt, wenn es eine Präsenzpflicht / -verpflichtung mit Lernenden und Lehrenden gibt. Auch alle Förderprojekte, egal wie innovativ sie inhaltlich gestrickt sind, müssen Teilnehmerlisten als Belege einreichen, um Geld zu bekommen. Von daher wundert es mich nicht, dass das Manifest bei der Fernuni zu Hause ist. Hier wird die Präsenzformel bestimmt in etwas gelockerter Form bedient. Ich fürchte, dass es am Ende genau diese (selbstverständliche, notwendige, unsichtbare) Finanzierungsstruktur sein wird, an der die didaktische Umsetzung des Manifests im Bildungsbereich scheitern wird. Natürlich können wir alle im Rahmen des new learning uns kostenfrei, selbstbestimmt, international und effektiv im Internet „schlau machen“, aber das was wir da tun, ist Privatvergnügen und wird gesellschaftlich nicht als Bildungspfad verortet sein.

Ich freue mich aber dennoch, dass mit dem Manifest ein Anfang gemacht ist.

Liebe Gisela,

vielen Dank für deinen Kommentar!

Stimme dir absolut zu: Die Finanzierungsströme sind falsch und auf die synchrone Arbeit fokussiert. Und überhaupt ist am #NewLearning eigentlich kaum etwas #new, außer eben, dass dieser Begriff jetzt von einer Institution geframed wird, was auch Gefahren bürgt, weil sie diesen damit steuern kann.

Ich selbst habe ein grundsätzliches Problem mit der in Deutschland noch sehr dominanten Institutionen-Sicht, egal ob sie auf die Aus- oder vermeintliche Weiterbildung fokussiert: Sie ist völlig fehlgeleitet angesichts der zunehmenden Bedeutung des lebenslangen Lernens auch im und mit dem Netz. Die Menschen lernen nicht, wie sie sich diesen riesigen Lernraum Internet aneignen können – und das wäre das Wichtigste aus meiner Sicht derzeit.

Aus diesem Grund hatten wir vor einigen Jahren BELGUT, das bedingungslose Lernguthaben, ins Spiel gebracht. Damit soll allen Menschen bedingungslos ein bestimmtes finanzielles Budget zur Verfügung stehen, das sie bedingungslos für ihre eigene Weiterbildung (und nur dafür) ausgeben können. Der Begriff hat auch bildungspolitisch etwas Karriere gemacht und steht sogar unter dem Begriff “Langzeitkonto” im aktuellen Koalitionsvertrag der #GroKo als Pilotprojekt, das man einmal ausprobieren sollte. Bislang ist davon noch nichts zu sehen und angesichts von Corona denke ich, das wird nach hinten geschoben, zumal es quer läuft zu anderweitigen Interessen. Zur gegebenen Zeit müssen wir dazu wieder etwas trommeln. BELGUT würde die Finanzströme umleiten zu Lernangeboten und Communitys, die wirklich nachgefragt sind seitens der lebenslang lernenden Menschen. Aber PRÄSENZ scheint ja weiterhin die Ultima Ratio zu sein, Kontrolle, Top-Down-Durchregieren usw. usf. Ich habe wenig Hoffnung, dass sich daran absehbar was ändern könnte.

Nicht zuletzt, weil daran auch zu viele Pfründe der Beschäftigten in den Institutionen hängen, die gar kein wirkliches Interesse an einer transformativen Zusammenarbeit quer zu den Silos haben. Selbstverständlich ließe sich das Bildungssystem weit optimierter gestalten, eben als gebrauchstauglicher kontextueller Rahmen für Menschen, die für ihre alltägliche Praxis weiterlernen möchten. Aber da kommt deine Theorie-Praxis-Schere ins Spiel. Es ist nicht gewünscht, sich institutionell in die sozialen Niederungen von Menschen zu begeben, um sie wirklich zu unterstützen. Es ist ein abgehobener Diskurs in den Institutionen, die sich wechselseitig weiterhin die Bälle zuwerfen.

Ich bin mir nicht sicher, ob das Hagener Manifest neue Kräfte entfesseln helfen kann. Es herrscht schon sehr viel Konkurrenzkampf auch im Netz. Kaum jemand vermag über den Schatten der eigenen Blase hinüberspringen zu wollen. Viel Gezeter, wenig Aktion. Ob die Fernuni mit dieser PR-Aktion mittelfristig mehr im Sinne der suchenden Menschen zu bewegen vermag, wird man sehen. Immerhin ist es ein Versuch, ein ganz kleines Stück herauszugehen aus dem eigenen Kokon. Mal schauen, was sich da zukünftig tut …

Ach ja: Und bezüglich der Bildungspfade bin ich optimistischer. Abgesehen vom öffentlichen Dienst legen immer weniger Unternehmen großen Wert auf klassische Zertifikate. Dazu zu gegebener Zeit mehr 😉

Schöne Grüße aus Berlin,
Anja

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