Scott Galloway, Professor für Marketing an der Stern School of Business der New York University, führt in einem CNN-Interview aus, welchen Einfluss die Corona-Krise auf das Bildungssystem in den USA (und damit indirekt auch auf Europa) haben könnte.
Die Erzählung geht so: Die Hochschulbildung hat sich in den letzten 40 Jahren kaum verändert, jedoch sind die Studiengebühren (in den USA) um 400% gestiegen. Jetzt in der Online-Phase sehen die ganzen Eltern in den ZOOM-Sessions, für was sie dieses viele Geld zahlen und fragen sich, ob es das wert sei, da sich ja nichts Grundlegendes in der Lehre verändert hätte – trotz eklatanter Gewinne der Hochschulen.
Bereits vor der Krise befand sich das (amerikanische) Hochschulsystem in ebenjener Rechtfertigungsschleife, jetzt kommt der ökonomische Druck hinzu. Hinzu kommt: In einer aktuellen Umfrage haben 20-40% der Studierenden angegeben, im Herbst nicht (wieder) an die Hochschulen gehen zu wollen bzw. zu können. Damit kommen große Probleme vor allem auf die Haushalte der öffentlichen Colleges zu, die zwei Drittel aller Hochschulen ausmachen.
Für die großen Ivy League-Universitäten hingegen wird sich kaum etwas verändern. Sie verstehen sich schon lange nicht mehr als öffentliche Einrichtungen. Sie sichern vielmehr den exklusiven Abschluss für die Kinder der Reichen und einige wenige Talente der Unter- und Mittelschicht ab. Dieses Geschäftsmodell wird auch zukünftig funktionieren und sie werden weiter sehr hohe Studiengebühren einnehmen können aufgrund ihrer Exklusivität.
Nicht so die Mehrzahl der Hochschulen. Alleine die University of California versorgt mehr Studierende als alle Ivy-League-Hochschulen zusammen. Wenn hier aber 20-40% nicht mehr auf den Campus kommen aufgrund finanzieller Schwächen, dann kommt vieles ins Rutschen.
Hier könnte nun die digitale Disruption massiv einsteigen: Nach Galloway haben die Tech-Giganten wie Apple, Google und Amazon aufgrund ihrer Aktienkurse die Notwendigkeit, weiterhin große Gewinnmargen für ihre Aktionär*innen einzufahren; andernfalls investieren Anleger*innen in andere Plattformen wie Netflix oder Salesforce. Die einzigen Branchen, in denen große Gewinnmargen derzeit eingefahren werden können sind der Gesundheits- und der Bildungssektor.
Es könnte also durchaus sein, so Galloway, dass diese Tech-Anbieter sich zum Beispiel in der University of California einkaufen und damit eine Verdopplung derer Lehr-Kapazitäten über das Netz ermöglichen. Das wäre eine Win-Win-Win-Situation für alle Seiten, da die Kosten pro Person gesenkt werden und viele von zuhause aus studieren könnten, was nochmals den Preis für das Studium senkt.
In der Folge kommen andere Colleges unter Druck, da sie ihre Preise auch senken müssten, um konkurrenzfähig zu bleiben. Und so startet eine Abwärtsspirale auf der Suche nach zahlenden Kund*innen.
Interessante Gedanken, die man sich im Original anhören sollte. Alleine der entgeisterte Blick der beiden Journalisten bei seinen Ausführungen ist die 7 Minuten wert. Und die süffisante Frage von Anderson Cooper, ob dies auch der Grund sei, warum die Colleges so sehr darauf drängen, dass die Studierenden wieder auf den Campus kommen, damit die Lehre nicht weiter den Eltern zu Gesicht käme?! Ein Schuft, wer Böses dabei denkt 😉
Welche Auswirkungen diese Entwicklung, sollte sie so kommen, auf das europäische Bildungssystem haben wird, kann man sich grob ausmalen. Man kann also von “hier” aus bequem online einen Bachelor oder Master an der UCLA absolvieren, zwar durchaus verbunden mit Kosten, aber vom Renommee her vielleicht doch interessanter als ein Abschluss an einer deutschen XYZ-Hochschule. Wird man sehen, zumal das Ende der Bedeutung eines Hochschulabschlusses eh wünschenswert wäre aus verschiedenen Gründen. Aber dazu an anderer Stelle mehr …
Artikel am 27. Mai 2020 erschienen auf Piqd als Hinweis auf das CNN-Interview mit Scott Gallaway