Ein Kulturkampf über die Zukunft der Arbeit durchzieht derzeit die verschiedenen Publikationen:
- Ist Arbeit doch “kein Ponyhof” (Nahles)?
- Darauf schwört auch der Chef der Bundesverbände der Arbeitgeber, Steffen Kampeter, ein: Leistung müsse sich wieder lohnen. Erst in der Schule, dann am Arbeitsmarkt. Ansonsten schrumpfe unser Wohlstand. Zudem:
Eine gute Work-Life-Balance sei „auch mit 39 Stunden Arbeit in der Woche“ möglich, meint Arbeitgebervertreter Kampeter.
- Die Soziologin Karin Jurczyk ist davon nicht überzeugt. Sie fordert ein Optionszeitenmodell, das der Care-Arbeit mehr Raum für alle bereitstellt. Denn zuviele Menschen erkranken und sind erschöpft im bisherigen Arbeitszeitmodell.
Es führe kein Weg daran vorbei, Erwerbsbiografien neu zu denken.
- Müssen wir also “weg von der arbeitszentrierten Gesellschaft”, so auch der Philosoph Michael Cholbi, dessen Sichtweise ich hier zentral vorstelle:
Zwar sei der Prozess, dass Menschen von Robotern und künstlicher Intelligenz ersetzt werden, doch deutlich langsamer, als vor einigen Jahren vermutet. Zudem habe die Pandemie aufgezeigt, wie viel Arbeit in der Pflege für eine alternde Bevölkerung erforderlich sei. Jedoch sei langfristig weiterhin davon auszugehen, dass viele Berufe aussterben. Und Menschen sollten jetzt bereits lernen,
Dinge außerhalb Ihrer Arbeit zu finden, für die sie Leidenschaft entwickeln können.
Denn:
Zufriedenheit auch über andere Wege als den Job zu erlangen, kann man lernen. Die Politik kann das ermöglichen, indem sie den Bürger:innen erstens eine finanzielle Grundsicherung ermöglicht und ihnen zweitens Zeit verschafft, andere Leidenschaften zu entwickeln.
Dieser Prozess könne auch seitens der Bevölkerung entstehen, wie man bereits an den verfestigten Forderungen nach mehr Homeoffice, 4-Tage-Arbeitswoche, New Work usw. sähe.
Das ist eine Art kultureller Pushback gegen die arbeitszentrierte Gesellschaft.
Ja, und damit sind wir mitten im Kulturkampf zwischen den Vertreter:innen der alten Industriegesellschaft (BA-Vorstand, BDA etc.) und der Zivilgesellschaft, die mehr Vielfalt wünscht. Oder wie Cholbi es ausdrückt:
Wir sollten unterschiedliche Beziehungen zur Arbeit ermöglichen, die nebeneinander existieren dürfen. Wer zufrieden ist, indem er oder sie tagtäglich am Strand entlangspaziert und Muscheln sammelt, soll genau die gleiche gesellschaftliche Akzeptanz erfahren wie Workaholics.
Aber die Arbeitsplätze und unser Wohlstand, hört man es bereits aus der alten Welt summen. Wo soll denn all das erwirtschaftete Geld (und die Tantiemen) herkommen?
Vielleicht einfach, indem wir wirklich fortschrittliche Wertschöpfungsketten entwickeln, die nachhaltig und effizient sind – und allen Bürger:innen einen “Mehrwert” bringen? Klar, dafür braucht es auch Menschen, die Bock darauf haben, die Gesellschaft im Interesse aller mitzugestalten. Nur lamentieren ist dann auch zu wenig …
Artikel am 27. Februar 2023 erschienen auf piqd als Hinweis auf den taz-Artikel Philosoph über Arbeitszeitverkürzung: https://taz.de/Philosoph-ueber-Arbeitszeitverkuerzung/!5916834/„Viele Berufe werden aussterben“