Arbeit definiert sich im sozioökonomischen Diskurs durch die Bezahlung und den Kontext, inwiefern diese Arbeit wirklich notwendig ist. Wird jemand für die Arbeit bezahlt oder ist jemand bereit, für die Erledigung zu zahlen, gilt diese Form der Arbeit als Erwerbsarbeit, sofern sie legal versteuert und versichert wird.
Die bezahlte Arbeit
Diese bezahlte Erwerbsarbeit verteilt sich auf ein Arbeitsvolumen, das gerne im volkswirtschaftlichen Diskurs über kleinste zeitliche Abstände betrachtet wird, um graduelle Veränderungen im kurzfristigen Verlauf zu entdecken. Blickt man jedoch über die längere Distanz auf das Arbeitsvolumen in Deutschland seit der Wiedervereinigung, dann kann man im Großen und Ganzen eine gleichbleibende (blaue) Linie erkennen.

Zwischenzeitlich (2019) ist das bezahlte Arbeitsvolumen auf 62,7 Milliarden Stunden angewachsen, das sich auf 45,3 Millionen Beschäftigte verteilt.

Auf diesen Schultern lastet das gesamte soziale Sicherungssystem von der Krankenkasse bis zum Rentensystem.
Die unbezahlte Arbeit
Nun ist alle bezahlte Erwerbsarbeit nur möglich vor dem Hintergrund der soziokulturellen unbezahlten Arbeit – vor allem der Hausarbeit, der Betreuungsarbeit und der freiwilligen Arbeit. Hier verlässliche Zahlen zu finden, ist ausgesprochen schwierig. Für Deutschland findet man eine Veröffentlichung aus dem Jahre 2016, die die Zahlen von 2013 vorstellt. Demnach fielen da 89 Milliarden Stunden unbezahlte Arbeitszeit an.
Arbeit in diesem unbezahlten Kontext ist dadurch charakterisiert, als diese Aufgaben auch von einer bezahlten Arbeitskraft geleistet werden könnten. Aber aus verschiedenen Gründen, meist finanzieller Natur, wird diese Arbeit unbezahlt von (meist) Frauen erledigt – mit allen schwierigen Folgen für deren Alterssicherung, Abhängigkeiten usw. usf.
Interessanterweise geht dieser sozialpolitischen Sprengkraft kaum eine wissenschaftliche Untersuchung richtig nach – wenngleich aktuell in einem Bundestagsausschuss über ein “Gesetz über die statistische Erhebung der Zeitverwendung” beraten wird (PDF). Damit folgt man offenbar einer Schweizer Initiative, die 2016 eine Schätzung der bei ihnen anfallenden unbezahlten Arbeit veröffentlichten.
Die Hausarbeiten (ohne Betreuungsaufgaben) machen mit 7,1 Milliarden Stunden gut drei Viertel des Gesamtvolumens an unbezahlter Arbeit aus (77%). Die Betreuungsaufgaben für Kinder und Erwachsene im eigenen Haushalt lassen sich mit 1,5 Milliarden Stunden pro Jahr beziffern (16% des Gesamtvolumens). Für Freiwilligenarbeit wurden 660 Millionen Stunden aufgewendet (7% des Gesamtvolumens).
Stefan Sell: Die untrennbare andere Seite der bezahlten Erwerbsarbeit: Wertvolle unbezahlte Arbeit und die in Franken und Euro
An dieser Aufteilung der unbezahlten Arbeit orientieren wir uns auch in unserer Darstellung.
Die Arbeit in Deutschland
Alles in allem können wir in Deutschland (ohne Schattenökonomie) von einem Mindest-Arbeitsvolumen insgesamt von (grob) 150 Mrd. Stunden ausgehen – bezahlt und unbezahlt. Dies verteilt sich grob wie folgt:
Bezahlt:
- Erwerbsarbeit: ca. 60 Mrd.
Unbezahlt:
- Hausarbeit: ca. 60 Mrd.
- Betreuungsarbeit: ca. 20 Mrd.
- Freiwillige Arbeit: ca. 10 Mrd.

Das ist die Welt in der wir leben – und die auf sozialpolitischer Ebene immer weniger für die Einzelnen funktioniert. Das muss geändert werden – und darum jetzt das Buch BERUFEN STATT ZERTIFIZIERT.
Und dabei haben wir bislang kaum auf die Verteilung dieser bezahlten und unbezahlten Arbeit entlang der Individuen und Geschlechter geblickt. Wir können jedoch davon ausgehen, dass sich im deutschsprachigen Raum die Arbeit in etwa so verteilt wie in dieser österreichischen Grafik von 2008/09.

Mit anderen Worten: Dieser antiquierte Arbeitsbegriff, der sich primär auf die Erwerbsarbeit konzentriert, geht ganz klar zulasten der Frauen. Und das muss (!) korrigiert und transformativ geändert werden!
Ergänzung: Die Schattenökonomie
In der Schattenökonomie, also dem ökonomischen Refugium der bezahlten Arbeit und Leistungen, die am öffentlichen Steuersystem vorbeigehandelt werden, verhält es sich noch einmal anders.
Auch hier gibt es nur grobe Schätzungen, aber da in diesen Sphären vor allem mit Bargeld gezahlt wird, fließt dieses ja irgendwann wieder in die “normale” Volkswirtschaft und damit in die Berechnung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) wieder hinein. Von daher ist dies zwar ungerecht, interessiert aber ökonomische Berechnungen nur marginal. Alles in allem macht diese Schattenwirtschaft (von Drogen bis zu Schwarzarbeit) ca. 10 % des BIP aus.
