Eine neue Studie der University of Pennsylvania hat anhand von knapp einer halben Million Wikipedia-Nutzer*innen untersucht, wie Menschen ihrer Neugierde folgen. Die Ergebnisse sind überraschend vielfältig und relevant für moderne Arbeitswelten.
Lit: Dale Zhou, Shubhankar Patankar, David M. Lydon-Staley, Perry Zurn, Martin Gerlach, Dani S. Bassett: Architectural styles of curiosity in global Wikipedia mobile app readership, IN: Science Advances 10, eadn3268 (2024), 25 October 2024
Studiendesign
Die Studie basiert auf einer großen Datenbasis: Die ForscherInnen analysierten das Navigationsverhalten von 482.760 Wikipedia-NutzerInnen aus 50 verschiedenen Ländern in 14 verschiedenen Sprachversionen.
Um die Bewegungsmuster durch die Wikipedia-Artikel zu verstehen, nutzten sie eine komplexe Netzwerkanalyse: Dabei wurden die einzelnen Artikel als Netzwerkknoten definiert und die Hyperlinks zwischen den Artikeln als Verbindungen.
Die Analyse erfolgte anhand von sechs verschiedenen Netzwerkmetriken, darunter Vernetzungsgrad, globale Effizienz, Kern-Peripherie-Struktur, Modularität, Anzahl der Gruppen/Module und minimale Beschreibungslänge.
Wichtig auch: Die ForscherInnen verglichen ihre Ergebnisse auch mit einer kleineren Laborstudie von 149 Teilnehmenden der University of Pennsylvania, die über drei Wochen hinweg täglich 15 Minuten auf Wikipedia surfen sollten.
Diese Kombination aus Naturalistic Data und Labordaten ermöglichte aussagekräftige Erkenntnisse über verschiedene Neugier-Typen.
Die drei Gesichter der Neugierde
Stell dir vor, du öffnest Wikipedia. Wie bewegst du dich durch die Artikel? Die Forschung zeigt drei charakteristische Muster:
- Der Busybody (TopfguckerIn) springt neugierig von Thema zu Thema, liebt kulturelle Artikel und baut breite Wissensnetzwerke auf. Wie ein Schmetterling fliegst du von Blüte zu Blüte des Wissens.
- Der Hunter (JägerIn) geht gezielt und fokussiert vor, interessiert sich besonders für STEM-Themen und baut enge, tiefe Wissensnetzwerke. Du folgst deiner Wissensjagd wie ein Pfeil dem Ziel.
- Der Dancer (TänzerIn) verbindet kreativ verschiedene Wissensbereiche und erkennt überraschende Zusammenhänge. Wie einE TänzerIn choreographierst du deine Bewegungen durch die Wissenslandschaft.
Kulturelle Prägung unserer Neugierde
Besonders spannend: Je nach kulturellem Hintergrund zeigen sich unterschiedliche Präferenzen. In Ländern mit mehr Gleichberechtigung finden sich häufiger “Busybodies”, während in Gesellschaften mit größerer Ungleichheit der “Hunter”-Stil dominiert.
Die ForscherInnen nennen für diesen interessanten Zusammenhang zwischen Gleichberechtigung und Nutzungsverhalten drei zentrale Erklärungsansätze:
Gesellschaftliche Strukturen
Patriarchale Prägung
- In Ländern mit größerer Ungleichheit führen patriarchale Strukturen zu einem eher zielgerichteten “Hunter”-Ansatz bei der Wissensaneignung.
- Gesellschaften mit mehr Gleichberechtigung sind offener für verschiedene Ideen und Herangehensweisen, was den explorativen “Busybody”-Stil begünstigt.
Unterschiedliche Nutzungsmotive
Zweck der Wikipedia-Nutzung
- In Ländern mit höherer Gleichberechtigung wird Wikipedia häufiger für Unterhaltung und Freizeit genutzt.
- In Ländern mit größerer Ungleichheit steht möglicherweise die gezielte Informationssuche für Arbeit und Bildung im Vordergrund.
Demographische Faktoren
Nutzerstruktur
- Die unterschiedlichen Browsing-Muster könnten durch demographische Unterschiede der Wikipedia-NutzerInnen bedingt sein.
- Relevante Faktoren sind dabei:
- Alter
- Geschlecht
- Sozioökonomischer Status
- Bildungsniveau
Thematische Vorlieben
Entsprechend der jeweiligen kulturellen Bezüge interessieren sich unterschiedliche Neugier-Typen für unterschiedliche Themen:
Busybody-Typen
- Lesen häufiger Artikel über Kultur und Geographie
- Interessieren sich für vielfältige Themengebiete
- Zeigen eine hohe thematische Diversität
Hunter-Typen
- Fokussieren sich stark auf MINT-Themen
- Bleiben eher in einem Themenbereich
- Zeigen eine geringere thematische Vielfalt
Was bedeutet das für Teams und Organisationen?
Jeder Neugier-Typus hat seine Stärken und Schwächen, die man im Team geschickt kombinieren kann.
Für Führungskräfte
- Erkennt die unterschiedlichen Neugier-Typen in eurem Team
- Setzt deren Stärken gezielt ein
- Fördert eine Kultur, die alle Arten der Wissensaneignung wertschätzt
Für Teams
- Busybodies bringen kreative Innovation
- Hunter sorgen für fokussierte Problemlösung
- Dancer schaffen überraschende Verbindungen
Was bedeutet das für dich?
Keiner dieser Stile ist “besser” oder “schlechter”. Entscheidend ist, dass du deinen eigenen Stil erkennst und gezielt einsetzt. Vielleicht bist du morgens eher der fokussierte Hunter und abends der explorative Busybody? Oder du merkst, dass du als Dancer besonders kreative Verbindungen zwischen verschiedenen Wissensbereichen herstellst?
Die Erkenntnis dieser unterschiedlichen Neugier-Stile kann dir helfen, dein eigenes Lernverhalten besser zu verstehen und effektiver zu gestalten. Denn eines ist klar: In der komplexen Arbeitswelt von heute brauchen wir alle Arten der Neugierde.
