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Anjas ueberflow

Wie geht Online-Lehre quick & dirty?

Das Gerüst für diesen Blogpost hatte ich zu Beginn der letzten Woche handschriftlich notiert. Da es aber so noisy war auf den sozialen Medien mit all den Tipps, hielt ich mich erst einmal zurück. Im Laufe der Woche kontaktierten uns dann einige klassische Bildungseinrichtungen mit ihren Fragen, wie man von jetzt auf gleich in den Online-Betrieb wechseln könne. Von daher scheint weiterhin Bedarf an Empfehlungen zu sein.

Hier also unsere kompakte Empfehlung nach 25 Jahren Erfahrung mit “E-Learning”, “Online-Lehre/-Lernen”, “Social Learning” und “Bildung 4.0” – zur groben Orientierung und als Leitplanke für die kommende Zeit.

Pragmatisch statt ideologisch!

Wie ich mir das Arbeits- und Bildungssystem der Zukunft wünsche, trägt meines Erachtens aktuell wenig zur Sache bei. Jetzt benötigen klassische Bildungseinrichtungen, deren Programme (bildungspolitisch erwünscht) auf einer massiven Präsenzkultur aufbauen, einen Handlungsrahmen, der ihnen akut hilft, ihre aktuellen Programme in die Online-Welt zu überführen. Dabei sind folgende Punkte wichtig zu realisieren:

  1. Es geht nicht um Tools!
  2. Es geht auch nicht primär um Methoden.
  3. Es geht um Menschen und die sozialen Lernbeziehungen.
  4. Nicht alles gleichzeitig angehen => Prozesse entzerren!
  5. Weniger ist mehr!

Also, was braucht ihr als Bildungseinrichtung für den Switch?

Organisation der Lehre

1. Homebase zur Gestaltung des Lehrbetriebs

Zur Organisation des Lehrbetriebs braucht es eine zentrale Anlaufstelle, über die an die Lehrenden und Lernenden (kurz: L&L) kommuniziert wird, wie das jetzt laufen wird. Und was jede*r tun kann/soll/muss.

  • Also keine PR, keine Motivation, keine Füllwörter, kein Schnickschnack.
  • Aber im nächsten Schritt durchaus mit Mitgestaltungsrechten seitens interessierter L&L.
  • Denkt daran: Das wird ein Prozess, der sich agil verändern lassen muss, also ALWAYS BETA sein wird. Niemals fertig sein wird! Niemals!
  • Es gibt keinen neuen Standard. Wir verfallen jetzt alle in einen kontinuierlichen Experimentiermodus. Und das ist gut so.

To-Dos in Schritten

  1. Überlegt euch eine Struktur bis hin zu den einzelnen Kursen und bildet diese auf eurer Homebase als hierarchisches Modell mit Links zu Folgeseiten ab.
    1. Hier sollten alle mit möglichst wenigen Klicks zu den Inhalten gelangen, die sie benötigen, um überhaupt online arbeitsfähig zu werden.
    2. Also bis hin zum Ablauf der Kurse, den groben Zeiten, den Inhalten, den Interaktionsmöglichkeiten. (Weiteres dazu folgt unten.)
  2. Gebt 5 unterschiedlichen Personen eine zielgruppentypische Detailaufgabe, die sie über die Homebase lösen können müssten. Das ist euer Quick & Dirty-Usability-Test. 80% Fehler bei eurer Abbildung der zukünftigen Struktur lassen sich so finden und korrigieren.
  3. Geht in den Regelbetrieb für mindestens 1, eher 2 Wochen.
  4. Derweil überlegt parallel, ob es inhaltliche Synergien gibt zwischen den Kursen oder Klassen.
  5. Arbeitet an einer verschlankten Organisationsstruktur, um personelle Ressourcen zusammenzulegen und stärker teambasiert zu arbeiten.
  6. Bindet eure Lernenden mit ein. Je mehr mitdenken, desto besser wird meist das Ergebnis.
  7. Bildet diese Struktur auf der Homebase ab.

Welche Technik?!

Nutzt das, was ihr bereits habt und was ihr selbst immer wieder verändern könnt. Und zwar möglichst easy. Im ersten Schritt geht es noch gar nicht um Lernmanagement-Systeme oder sonstige Online-Akademien.

  1. Ihr habt eine Website? Nutzt diese zur Präsentation der Ergebnisse.
  2. Nutzt ein Etherpad (z.B. ZUMpad) oder ein Google Doc zur gemeinsamen Bearbeitung, so daß ihr in Echtzeit sofort kollaborativ arbeiten könnt.
    1. Ihr könnt auch Dropbox, Nextcloud etc. verwenden, wenn ihr damit Erfahrung habt.
    2. Ansonsten sind die beiden Varianten oben gut gebrauchstauglich – auch ohne Vorerfahrungen.
    3. Bitte keine Mails mit Datei-Anhängen (“neu”, “ultraneu”, “meganeu” usw.) mehr versenden! Das Thema ist vorbei. Adios!
  3. Später könnt ihr nach-und-nach umswitchen auf eine fundiertere Arbeitsumgebung mit WordPress/Nextcloud etc. oder MS Teams, Google for Education o.ä., je nachdem, was eure Datenschutz-Expert*innen dazu sagen – und offenbar öffnen sich jetzt plötzlich die Türen. Ihr habt bereits eine solche Umgebung im Regelbetrieb? Wunderbar. Herzlichen Glückwunsch! Berichtet bitte von euren Erfahrungen!

2. KOMMUNIKATIONSUMGEBUNG

Ganz wichtig für euren Lehrbetrieb der nächsten Wochen, Monate und vielleicht auch Jahre wird die regelmäßige Kommunikation sein. Dazu liesse sich jetzt weit ausholen, wie man online kommunizieren kann. Das tun wir an dieser Stelle nicht. Was ihr auf jeden Fall benötigt, ist jeweils eine Möglichkeit, asynchron und synchron zu kommunizieren.

Kleiner Exkurs zur asynchronen Kommunikation jetzt doch

  • Der große Vorteil des Online-Betriebs ist, dass jede*r dann kommunizieren kann, wann es ihm oder ihr zeitlich in den Kram passt. Gerade in diesen Zeiten wird es herausfordernd sein, alle zum selben Zeitpunkt in Ruhe synchron zu erwischen.
  • Ein weiterer Vorteil ist, dass man bei asynchroner Kommunikation auch einmal nachdenken kann bevor (!) man antwortet. Man kann die Frage durchdenken, die Antworten abwägen usw. Das ist auch eine Kunstfertigkeit, die alle einüben müssen, statt schnell mit einem lustigen Emoji oder Giphy zu antworten.
  • Bringt bitte Qualität in eure Kommunikation. Auch asynchron. Das drängt den Noise raus und bindet nicht unsere Zeit.
  • (Exkurs Ende)

Also, was braucht ihr unbedingt in aller Kürze:

  1. Denkt Mobile first!
  2. Orientiert euch zunächst an dem, was Eure Zielgruppen bereits nutzen oder schnell installieren können.
    1. Also im ersten Schritt eine zentrale App aus der Messenger-Palette (WhatsApp, Telegram, Signal, Messenger, Discord, Wire etc.) für die asynchrone Kommunikation innerhalb der Kurse nutzen, sowohl im Gruppenchat als auch im 1:1-Coaching.
    2. Ihr könnt das auch in eine Schul-App verlagern, vor allem bringt dies Vorteile in der Kommunikation mit den Eltern. Das würde ich aber im nächsten Schritt in Ruhe aufsetzen. Kein Aktionismus, bitte!
    3. Für die organisationsweite interne Kommunikation solltet ihr die Kommunikationskanäle der Cloud-Lösungen andenken. Auch Slack, MS Teams oder WordPress mit dem P2Theme sind sinnvolle Alternativen, die sich schnell aufsetzen lassen. Möglichst nicht selbst anfangen, rumzufrickeln. Nutzt bitte Profi-Lösungen! Ihr erspart euch mittelfristig viel Ärger. Wie gesagt: Pragmatisch, nicht ideologisch.
    4. Für den synchronen Austausch, der die Bindung zwischen den Menschen erhöht, eignen sich die Videokonferenzen. Ihr könnt im ersten Schritt Jitsi oder ZOOM nutzen – oder die internen Lösungen eurer jeweiligen Cloud-Lösung.
      Wir haben in Refind zentrale Links zum Einstieg in die Online-Lehre gesammelt. Dort findet ihr auch alle aktuellen Videokonferenz-Lösungen, die in Betracht kommen könnten.
      1. Kursintern hat sich herausgestellt, dass eine wöchentliche Zusammenkunft mit Bild eine bessere Qualität der asynchronen Kommunikation ermöglicht. Dann aber möglichst nicht die kostbare Zeit für “Vorlesungen” nutzen, sondern die Interaktion betonen. Also Diskussionen führen, Fragen beantworten, Expert*innen dazu laden, gemeinsam an etwas arbeiten im Whiteboard etc. => Wir stellen nächsten Freitag (20.03.2020) um 10 Uhr einige mögliche Videokonferenz-Formate bei der #DigiCLC20-Onlinekonferenz vor.
      2. Wer Datenschutz-Bedenken hat wegen der Videobilder der L&L (und v.a. des Bild-Hintergrundes, da es sich hier ja um private Räumlichkeiten handelt), kann mit Audiokonferenzen arbeiten. Auch dies bringt die Leute zusammen und in den Austausch. (Dazu kann man einfach die Videokonferenz-Umgebungen nutzen ohne Bild.)
      3. Videokonferenzen verbrauchen viel Bandbreite. Je nachdem, wie gut unsere Netze die nächste Zeit mitgehen, sollte man auf einen effizienten Einsatz dieser Variante achten. (Und eh nicht soviel Zeit synchron binden.)
      4. Viele Server werden vermutlich durch den Dauer-Onlinebetrieb zusammen brechen. Ich vermute, da werden sich die etablierten Player von den schnell gestrickten Lösungen absetzen. Wir selbst setzen immer eher auf die soliden Lösungen, um möglichst wenig Technikfrust entstehen zu lassen und schnell zur inhaltlichen Arbeit zu gelangen.
  3. Wenn ihr diese Grundausstattung im Regelbetrieb eingeführt habt und aktiv nutzt, könnt ihr nach-und-nach weitere, v.a. asynchrone Kommunikationswege hinzufügen.
    1. Geht dabei vor allem auf die Kanäle, in denen eure Zielgruppen sich eh schon bewegen. Erzieht sie bitte nicht zu unsexy Alternativ-Medien, die keinen Spaß machen. Instagram-Stories, TikToks, YouTube-Channels, Podcasts usw. usf. sind super Möglichkeiten, um mit Schüler*innen, Studierenden, Eltern und Großeltern zu kommunizieren. Nicht belehrend, sondern qualitativ mit der nötigen Ernsthaftigkeit, aber auch mit Humor, wenn’s geht. Keine Eigen-PR! Nur noch inhaltliche Qualität in die sozialen Netzwerke schütten, bittschön 🙂
    2. Ob ihr ein Lernmanagement-System nutzen wollt für die Wissensvermittlung, könnt ihr später diskutieren. Das hat derzeit keine Priorität. Wenn ihr eh schon eines nutzt, okay. Kann man machen, muss man aber nicht. Nur für den Hinterkopf. Aber das diskutieren wir ein anderes Mal. Jetzt befinden wir uns im akuten Krisenmodus.

3. Regelbetrieb

Jetzt habt ihr eine halbwegs etablierte technische Umgebung zum Starten. Was tun mit euren Lernenden, sofern sie überhaupt über einen halbwegs soliden Internetzugang verfügen?!

  • Achtung: Das mobile Datenvolumen ist für die meisten Menschen begrenzt. WLAN nicht in jedem Haushalt verfügbar. Je nachdem muss man hier kreative Lösungen suchen je nach Zielgruppe.

Hier ein Gerüst, entlang dessen ich anfangen würde zu denken:

  1. Morgenroutine etablieren => Ziel: Tagesstruktur geben
    1. In einem bestimmten kurzen Zeitfenster kommen alle zusammen, um den sozialen Verbund zu stärken. Hier reicht vermutlich ein Messenger-Kanal, um Begrüssung, Status Quo, Tages- oder Wochenplanung, Stand der Arbeiten auszutauschen und gute Laune zu verbreiten.
    2. Ich weiss, andere meinen, Echtzeit-Kommunikation wäre zuviel Stress für einige in der jetzigen Situation. Wir denken, es ergibt eine Struktur für den Tag, die viele jetzt in dieser Übergangszeit benötigen, bis sie selbstbestimmt und selbstorganisiert ihre Wochentage komplett alleine gestalten können.
  2. Kollaborativ arbeitende Teams zusammenstellen
    1. Hier geht es darum, dass sich Menschen in wechselnden Teams gemeinsam an Aufgaben setzen und diese im wechselseitigen Austausch bearbeiten.
    2. Theoretisch könnte man jetzt darüber nachdenken, größere Aufgaben in verschiedene kleinere Teilaufgaben zu zerlegen und die Teams kooperativ daran arbeiten lassen. Dann liesse sich in der Morgenroutine jeweils kurz berichten, wie der Stand ist – und es könnten sich auch Einzelne vertreten lassen von ihren Team-Genoss*innen. Ich weiss, dies kollidiert etwas mit dem standardisierten Prüfungs- und Testdenken, aber da müssen wir ja eh baldmöglichst ran 😉
  3. Nachmittagsroutine
    1. Nach dem Mittagessen könnten nochmals alle irgendwie zusammen kommen und von ihren Herausforderungen, Problemen, Ergebnissen, Lessons Learned etc. berichten.
    2. Da jetzt zwar Einige wenig persönliche Zeit haben (s.o.), andere dafür umso mehr, sollten wir die Gunst der Stunde nutzen und hier die Vorteile asynchronen Arbeitens und Lernens nutzen (s.o.). Das bedeutet, dass manche Personen viel Zeit haben, bestimmte Inhalte in welcher Form auch immer zu suchen, zu sammeln, zusammenzufassen, aufzubereiten für unterschiedliche Zielgruppen usw. usf. Dazu könnte man sich austauschen und Aufgaben verteilen. Das ist die Zeit, in der vernetztes Lernen zum Tragen kommen kann. Alle gemeinsam und jede*r in der eigenen Geschwindigkeit. Natürlich nicht mehr mit Blick auf standardisierte Prüfungen, aber das deutete ich oben bereits an.
  4. Austausch der “Lehrenden”
    1. Es ist offensichtlich, dass jetzt alle, wirklich alle in den Lernmodus verfallen müssen. Das funktioniert am besten, in dem auch die Lehrenden einer Bildungseinrichtung sich regelmäßig austauschen und ihre Lessons Learned in einer Routine (wie auch immer) besprechen. Es muss nicht Jede*r dieselben Fehler machen.
    2. Sammelt eure Lernergebnisse, tauscht sie aus, lasst euch wechselseitig helfen, auch von den Schüler*innen oder Studierenden, wenn sie etwas besser können. Ja, auch diese können nicht alles bzw. leben sie in anderen digitalen Sphären als die Boomers. Aber ganz ehrlich: Ob man in diesem Zeitalter noch eine Maus bedienen oder eine E-Mail-Adresse einrichten können muss, kommt immer auf die Perspektive an.
    3. Wir werden mit einer ersten Schule jetzt bald den ursprünglich in Präsenz geplanten pädagogischen Tag zerlegen in eine Online-Fortbildung. Schauen wir mal, was in diesen Zeiten sich bewegen und anstossen lässt.
    4. Und ansonsten tauscht gerne eure Projektideen und -realisierungen bei Teachoz.io aus. Wenn ihr einen Code zur Anmeldung benötigt, meldet euch bei mir.

Zwischenfazit

Wir müssen jetzt alle von allen lernen. Und Kompromisse eingehen. Auf allen Seiten. Es ist eine transformative Zeit. Ich hätte nie gedacht, dass solch ein Virus letztlich der Auslöser sein wird, der die (notwendige) Transformation disruptiv voran bringt.

Zum Glück haben wir dieses weltweite digitale Netz. Lasst es uns konstruktiv nutzen! Und wie gesagt: Pragmatisch, nicht ideologisch! In diesem Sinne: Bleibt gesund! Und achtet aufeinander!

Was jetzt?

Habt ihr konkrete Wünsche, worauf wir noch eingehen sollen? Ab damit in die Kommentare oder direkt an uns senden. Wie auch immer.

Und tragt euch den Termin in den Kalender ein: Nächsten Sonntag (22.03.2020) widmet sich das Jugend-Online-Event der kollaborativen Kompetenz. Schon seit Monaten in Planung. Es hätte zeitlich nicht besser fallen können. Vielleicht sehen wir uns da. Ich halte die Keynote …

Lernen zu lernen & lehren ab 2020 mit @frolleinflow. Wie klassische Bildungseinrichtungen vorgehen können. #bildung40