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Lasst bitte los: Vertraut auf die kollektive Intelligenz!

Die Herausforderungen im schulischen Bildungssystem sind gewaltig. Von jetzt auf gleich in den Remote-Betrieb gesetzt, mussten sie größtenteils unvorbereitet lernen ins kalte Wasser zu springen und zu schwimmen. Zwar sprechen wir seit zwei Jahrzehnten von digitaler Bildung, derweil geschehen ist wenig.

Gut, es gibt die ein oder andere Initiative, Content oder digitale Tools zur Unterstützung von Präsenzlehre bereitzustellen. Aber im Grunde war die Präsenzlehre immer gesetzt, etwas angefeatured über digitale Werkzeuge oder Medien. Vor allem das Leben im neuen digitalen Kulturraum wurde dadurch kaum eingeübt, obwohl allen seit Jahr(zehnt)en klar ist, dass dies der zentrale (!) Raum sei, über den sich die Erwachsenen später lebenslang weiterbilden müssen. Nur wie, das lernte niemand, auch nicht die jungen Lehrenden. Es sei denn, sie fanden sich im #twitterlehrerzimmer ein.

Was nun?

Ich möchte die pragmatische Reihe fortsetzen und einen Denkanstoss hier formulieren:

Was wäre, wenn jetzt bedingungslos, unbürokratisch und unmittelbar jeder Schule 25.000€ aus dem Digitalpakt überwiesen würde?

Sie könnten selbstbestimmt darüber verfügen, wie sie das Geld in der aktuellen Situation am sinnvollsten einsetzen. Einzige Voraussetzung: Die Investitionen müssen die digitale Transformation des Schulbetriebs voranbringen. Wie, bleibt der kollektiven Intelligenz der Schulen überlassen.

Begründung

Die 5 Milliarden € Digitalpakt-Gelder werden kaum abgerufen, weil alles viel zu umständlich und bürokratisch abläuft. Bei ca. 40.000 in Frage kommenden Schulen bedeutet dies: Theoretisch stünden ihnen 120.000€ pro Schule zur Verfügung.

Jetzt zweigt das BMBF zwar 100 Mio. € für Lernmittel davon ab, aber immer noch super kontrolliert und top-down durchgesetzt. Warum nicht auf die kollektive Intelligenz der Schulleitungen und Lehrer*innen vertrauen, die ja nun allesamt Akademiker*innen sind?

Es ist bekannt, dass kollektive Intelligenz, die auf Heterogenität, Unabhängigkeit, Dezentralität und smarte Aggregation der Ideen setzt, bessere und innovativere Formate entwickelt als machtpolitische Expert*innen-Ideen, die durchgedrückt werden. Wann, wenn nicht jetzt, gilt es, kreative und neue, dafür aber schnell umsetzbare Ansätze zu verfolgen?

Linda Hill, Harvard-Professorin für Wirtschaftswissenschaften, hat jahrelang richtig innovative Organisationen weltweit analysiert. In ihrem TED-Talk fasst sie ihre Forschungen zusammen, wie Innovation entsteht – und genau dies bräuchten wir jetzt im Bildungssystem. Es sind drei Charakteristika, die im Zusammenspiel transformative Entwicklungen entstehen lassen:

  1. Kreativer Abrieb
  2. Kreative Agilität
  3. Kreative Lösung

1. Kreativer Abrieb

Innovative Organisationen schaffen es, einen Marktplatz der Ideen zu schaffen, der Raum gibt für Debatten und Diskurse auf der Suche nach konstruktiven Alternativen. Oder wie der Kreativ-Maestro es ausdrückte:

Es macht keinen Sinn, kluge Leute einzustellen und ihnen zu sagen, was sie tun sollen; wir stellen kluge Leute ein, damit sie uns sagen können, was wir tun sollen.

Steve Jobs

Also, liebe Politik: Gebt die Mittel frei und lasst eure Leute losziehen. Es werden sich die unterschiedlichsten Ideen entfalten. Lasst doch die Schulen selbst auf Augenhöhe diskutieren. Ich habe zwischenzeitlich viele kluge Schulleitungen kennen gelernt. Das sind smarte Leute, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind. Lasst sie bitte von der Leine. Die schaffen das!

2. Kreative Agilität

Wenn man Glück hat, entstehen so vielfältige, unterschiedliche Ideen und Konzepte, die ausgetauscht und ausprobiert werden. Es wird in Zukunft keine neue Standardisierung im Bildungssektor mehr geben können. Das widerspricht dem benötigten Mindset in der digitalen Transformation, die jetzt erst recht durch Corona einen exponentiellen Schub bekommen wird.

Wir brauchen diese Vielfalt an Experimenten. Genau so arbeiten innovative Organisationen: Sie experimentieren und probieren dauernd etwas Neues. Was funktioniert wird weiter ausgebaut, was nicht funktioniert einfach fallen gelassen und ggf. später anderweitig angepasst wieder als Experiment eingespielt. Wir müssen wegkommen von dieser Idee, erst langatmig alles durchzudiskutieren und dann möglichst erfolgreich verifizierbare Pilotierungen aufzusetzen, die kaum scheitern dürfen.

Wir müssen jetzt in diesen Experimentiermodus gelangen. So lernen auch Heranwachsende, dass es kein Problem ist, immer wieder was Neues auszuprobieren statt ewig in den alten Schlaufen sich zu bewegen. Wir haben doch alles parat, was es braucht. Nur was es nicht braucht, sind zu viele bürokratische Regularien. Lasst die Leute ausprobieren und kollaborativ zusammen arbeiten!

3. Kreative Lösung

Schliesslich braucht es die smarte Aggregation, die kreative Lösung, die quer denkt zu dem bisherigen Verfahren und im Interesse der Schüler*innen, Eltern und Lehrer*innen neue Formate ermöglicht, die lösungsorientiert und gebrauchstauglich sind.

Warum nicht die Schule as a Service denken?

Jede Schule zieht sich den Content, den sie für wichtig erachtet, woher auch immer. Seien es OER-Plattformen oder kommerzielle Anbieter. Die Schulen werden schon selbst entscheiden können, was für sie und ihre Schüler*innen qualitativ richtig und sinnvoll ist.

Mit dem bedingungslosen Lehrguthaben für Schulen aus den Mitteln des Digitalpaktes könnten sie je nach Bedarf Lizenzen zahlen, ohne für alles immer Rechenschaft ablegen zu müssen. Lasst uns doch endlich mal mehr vertrauen. Sie sind doch alle gut ausgebildet!

Und jede Schule kann sich vielfältig im Netz Ideen für die Unterrichtsgestaltung ziehen. Hier ein hervorragender Artikel von Ines Bieler zur digitalen Didaktik. In Zeiten der großen digitalen Transformation braucht es weniger standardisierte Prüfungen als vielmehr eine gelebte Kultur der vernetzten Arbeitsorganisation. Auch hier werden Schulen nachrüsten müssen, um von innen heraus selbst eine digitale Kultur zu entwickeln, die sich dann selbstverständlich an die Schüler*innen informell weiterträgt.

Jetzt ist Zeit für B(u)ildung 4.0

B(u)ildung 4.0 bedeutet, neu zu denken, agile Prozesse aufzusetzen und kreativ im vernetzten Verbund quer zu denken. Quer zu den bisherigen Strukturen, quer zu den formalisierten Prozessen und quer zu den Schulen. Regional vernetzend, kollaborative Projekte angehend, alle zusammen in Richtung Zukunft.

Das ist kein linearer, planbarer Prozess, sondern eher ein chaotischer, den man aushalten wollen muss. Für Führungskräfte bedeutet dies, sich als Sozialarchitekt*innen zu verstehen. Also, ihr politischen Führungskräfte: Lasst bitte los!

Führung heute muss die Bühne bereiten, nicht die Bühne rocken.

Linda Hill

Damit ist zunächst die wichtigste Voraussetzung benannt, um ein kollaboratives Arbeiten quer zu den Ressorts und Landesgrenzen zu ermöglichen. Lasst uns endlich unsere kollektive Intelligenz aufblühen helfen. Es ist höchste Zeit!


Was wäre, wenn jetzt bedingungslos, unbürokratisch und unmittelbar jeder Schule 25.000€ aus dem Digitalpakt überwiesen würde? #bildung40