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Die VHS von morgen. Ein paar Zwischenrufe

Meine ersten Überlegungen für den Zwischenruf

Ich war eingeladen, auf dem VHS-Tag einen Beitrag zu leisten zum Selbstverständnis der Volkshochschulen. Um mich darauf einzugrooven, hatte ich einen möglichen Vortrag mir zusammen geschrieben. Schließlich verwarf ich diesen Entwurf, weil er mir zu allgemein und zu moralisierend daher kam. Ich entschied mich für eine kurzweiligere Variante, die man unten einsehen kann. In Ergänzung zu dem tatsächlich gehaltenen Vortrag könnte die Vorläufer-Version allerdings von Interesse sein. Deshalb: Bittschön!


Ich weiss nicht, ob Sie Zeit hatten, meinen dis.kurs-Artikel zu lesen? Ich wurde von der VHS gebeten, einmal von aussen auf die VHS zu blicken und wie ich die VHS von morgen sehe. Also bitte nicht irritiert sein, wenn Sie sich die Zukunft ganz anders vorstellen. Es ist nur ein Versuch meinerseits, die ehrfürchtige Institution VHS im 21. Jahrhundert mir vorstellen zu können.

Denn, Sie müssen wissen: Ich gehörte bislang zu den Vertreterinnen, die glaubten, die klassischen Bildungsinstitutionen könnten gar nicht mehr überleben im 21. Jahrhundert angesichts der zunehmenden Disruptionen an den Rändern.

Aber das kann ich Ihnen ja hier nicht erzählen angesichts ihres Ehrentages und deshalb habe ich mich ein paar Tage hingesetzt und ernsthaft nachgedacht, wie denn eine VHS aussehen müsste, die aus meiner Sicht eine wahrhaft sinnvolle Funktion übernehmen könne im 21. Jahrhundert.

Und auch wenn ich selbst skeptisch war, ich habe eine Vision gefunden – nur liegt diese vielleicht wo ganz anders verortet als Sie sie verordnen.

Legen wir los …

Die Herausforderung der alten ehrfürchtigen Institutionen, sei es in der Bildung, der Wirtschaft oder der Politik, liegt ja darin begründet, dass sie über die Jahre ihrer institutionellen Erfolge dazu übergegangen sind, die INSTITUTION als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen zu nehmen.

Es ging dann immer nur noch darum, noch grösser zu werden – eben dem alten Wachstumsgedanken folgend: Mehr Mitarbeiter, mehr Kunden, mehr Geld. Das war die Logik und sie hat ja auch lange funktioniert.

Heute leben wir allerdings in einer Zeit, wo kleine Unternehmen wie Instagram mit 15 Mitarbeitern einen gigantischen Marktwert entwickeln können, der alte Schlachtrösser wie z.B. Kodak zum Einstürzen bringt. Woran liegt das? Weil die Technologie dieses exponentielle Wachstum und die Kunden-Skalierung ermöglicht.

So schätzt die Singularity University, dass wir im Jahre 2020 ca. 8 Mrd. Menschen auf der Erde sind. Und es werden dann ALLE Menschen kostenlosen Zugang zum Internet haben.

Google, Facebook, Elon Musk mit seinen SpaceX-Raketen arbeiten daran. Sie schiessen schuhkartongrosse Satelliten ins All, um Internetzugang weltweit zu ermöglichen. Wie auch immer man das einordnen will, es wird geschehen, geschieht bereits in einigen Vorläufer-Varianten und wird die gesamte Welt empowern.

Energie, Mobilität und Kommunikation werden bald nichts mehr kosten, visionierte die Singularity University auf ihrem Summit im April 2016 in Berlin.

Die gesamte Welt ist dann per Internet vernetzt und wird ihre gebündelte, kollektive Intelligenz einsetzen, um sich wechselseitig weiterzubilden. Ob man das gut findet oder nicht, fragt keiner. Die Menschen machen es einfach.

Warum ist das Netz so erfolgreich?

Aber ist es wirklich die Technologie, die dieses exponentielle Wachstum ermöglicht? Vielleicht im zweiten Schritt, in der Exekutive sozusagen.

An vorderster Front aber steht eine Umkehr der Sicht auf den Markt.

  • Seit 40 Jahren etwa haben sich über die Zeit verschiedene Konzepte entwickelt, in denen es darum ging, Informationen, Zugang und Nutzererlebnis optimal aufeinander abzustimmen.
  • Vor 20 Jahren etwa starteten erste Überlegungen, wie man eine Umkehr in der Perspektive auf den Kunden bewerkstelligen könne. Nicht mehr ein Produkt anbieten, dem sich der Kunde gefälligst anzupassen habe, wenn er es denn nutzen wolle. Sondern ein Produkt zu schaffen, dass der Kunde tatsächlich will. Ihm entgegen kommen, ihm helfen.
  • Dann kam vor 10 Jahren etwa die Möglichkeit hinzu, wirklich alles mit allem zu vernetzen, Mobilität verstärkt zu erfahren – und aus all dem ergab sich ein neues Zeitalter, nämlich dieses Knäuel, wo alles mit allem zusammen hängt. Aus diesem Knäuel heraus kann man nun unterschiedliche Angebote offerieren.

Sie kennen sicherlich diese Grafik?!

Was in diesem Falle Apple und Google leisten, ist dem User entgegen zu kommen, einen ersten Faden zu finden, womit sie sich das Knäuel aufdröseln können. Diese radikale Sicht aus User-Perspektive wird maximal effizient bedient, und zwar so, wie es dem Kundenbedürfnis am besten entgegen kommt. Egal, ob es dafür Menschen, Maschinen oder Algorithmen braucht.

Und nun schauen sie auf die 3. Anwendung. Sind die ersten beiden Bildschirme userorientiert, so ist dieses angebotsorientiert. Da zeigt der Ingenieur, was er kann und man muss als User selbst eine Viertelstunde zusehen, dass man die richtigen Eingaben tätigt, ohne zu wissen, ob man dahinter den richtigen Faden zum Knäuel findet. Dieser App ist es gleichgültig, ob der User überfordert ist oder nicht. Sie bieten es an, fertig. Das ist der alte Anbietermarkt.

Wo steht die VHS?

Nun schauen wir auf die gängige Diskussion um die VHS. Hier geht es aus meiner Aussensicht ausschliesslich darum, wie die VHS ihre imposante Stellung weiter halten kann. Natürlich will sie nur Gutes tun für die Schwachen. Das steht gar nicht ausser Frage.

Aber was ist hier anders? Es ist die klassische Sicht aus Anbieterseite. Man will dem Publikum gefallen – und ist ggf. verschnupft, wenn das Publikum nicht mehr so will, wie man selbst will. Die Hochschule für das Volk nutzt das Volk zur Aufrechterhaltung ihrer “HOCHSCHULE”.

Ich sagte Ihnen, es könnte etwas unangenehm werden … aber wir haben die Talsohle bald erreicht.

Sehen Sie, und hier tut sich aus meiner Sicht ein Gap auf.

Die VHS, wie auch die anderen grossen Institutionen, kreist um sich selbst. An solch einem Tag wie dem VHS-Tag sei es Ihnen gegönnt, nur um sich zu kreisen, aber grundsätzlich habe ich bei fast allen deutschen Bildungsinstitutionen das Gefühl, sie blicken auf die Digitalisierung wie ein Kaninchen auf die Schlange ….

Aber warum eigentlich?

  1. Die digitalen Werkzeuge bieten viel Komfort (sofern sie nicht von grossen deutschen Institutionen entwickelt wurden).
  2. Digitale Werkzeuge und Medien bieten vielfältige Möglichkeiten, mit den Kunden und Partnern sich auszutauschen (sofern der Gedanke der User Experience konsequent gelebt wird).
  3. Und digitale Umgebungen drehen bekanntlich den Spiess um: Von einem Angebotsmarkt zu einem Nachfragemarkt, wie wir eben gesehen haben. Wir müssen nichts mehr entwickeln, was eh keine/r haben will.

Denn diese Werkzeuge und Medien stehen jetzt auch den Kunden zur Verfügung, die sich entweder selbst etwas basteln, das ihrem Kundenbedürfnis mehr entspricht oder sie nutzen Dienste der Anbieter, die ihnen persönlich am ehesten zusagen.

Und da gibt es im Medien- und Bildungsbereich eine ganze Menge neuer Anbieter, die tolle, zeitgemässe Angebote bereit halten und mithelfen, eine gute User Experience aufzubauen. Das reicht von zivilgesellschaftlichen Initiativen bis hin zu den ganzen, mehr oder weniger fortschrittlichen Startups, die derzeit aus dem Boden spriessen.

Die VHS von morgen

Aber warum diese Netz-Angebote als Konkurrenz wahrnehmen, das frage ich in meinem dis.kurs-Beitrag? Ist doch toll, wenn das Volk lernt und sich weiterentwickelt.

Warum nicht überlegen: Okay, da gibt es dieses sich immer weiter verzweigende Ökosystem mit vielen wirklich tollen, vielfältigen, neuen Angebote weltweit – wir zeigen dem Volk, wie man das alles sinnvoll für sich nutzen kann?! Wir helfen dem Volk, sich optimal weiterzubilden, indem wir Schnittstellen bieten in das neue Netz.

Das weltweite Angebot ist ja vorrangig englischsprachig. Warum nicht als Übersetzer dienen, als Steigbügelhalter, als Interessenvertreter des Volkes? Zumindest für die Teile der Bevölkerung, die sich gerne dabei helfen liessen, weil sie auch teilhaben wollen am digitalen Wandel. Es verstehen wollen, was derzeit geschieht.

Sie werden dabei sicherlich feststellen, dass es noch gehörige Angebotslücken gibt – diese können Sie füllen, möglichst überregional agil entwickelt, damit sie schnell ein für viele Kunden sichtbarer, attraktiver Anbieter sind. Aber das sind Details, über die man sich nochmals austauschen müsste.

Was mir wichtig wäre, ist die VHS als Türöffner zu sehen, Menschen im digitalen Wandel sinnvoll zu begleiten. Und somit auch als Lobbyist der Volksbildungsinteressen in der Politik aufzutreten.

  • Von der Forderung nach Zugang zum Internet angefangen,
  • über vielfältige Formate, die den Einstieg ermöglichen, nicht didaktisch aufbereitet, sondern auf Augenhöhe, experimentell, kreativ,
  • und schliesslich neue hybride Formate für den kommunalen Austausch nutzend.

Ich kann mir so vieles vorstellen, wo die VHS als Schnittstelle zwischen Volk und Netzbildung dienen könnte. Sie haben etablierte Strukturen, Sie haben Personal, Sie haben den Zugang zu den lokalen Märkten.

Tun Sie etwas, um die verschlafene digitale Kompetenz in Deutschland zu heben!

Im Zweifel kommt es zukünftig zu noch heftigeren Disruptionen. Amazon hat begonnen, Buchläden vor Ort aufzubauen. um den Menschen physische Zugänge ins Netz zu ermöglichen. Auch Udacity beginnt damit. Wenn Sie als VHS nicht bald diese Funktion übernehmen, werden es andere tun.

Schaffen Sie Zugänge zu all diesen tollen neuen Bildungsanbietern, Initiativen und Umgebungen! Als Scout, als Coach, als Socializing-Effekt.

Vielleicht wird Ihre Institution als solche auf ihren Kern zurück schrumpfen müssen, aber das wird Sie stärker machen, erfolgreicher für das 21. Jahrhundert.

Mitarbeiterzahlen, Hierarchieebenen und die Masse an potentiellen Angeboten sind kein Ausdruck von Erfolg mehr. Es ist der agile, kundenfreundliche, zukunftsgewandte Blick, der den Erfolg ausmacht.

Ich wünsche ihnen viel Erfolg!

Tatsächlicher Zwischenruf

Und hier jetzt mein tatsächlich gehaltener Vortrag, der von Joachim Sucker, einem Autor des Volkshochschultag-Blogs, dankenswerter Weise per Periscope aufgezeichnet und dann auf YouTube gestellt wurde. (Bitte auf 1:37 vorspulen …)

Und hier die offizielle Aufzeichnung des gesamten Forums:

Last, but not least, eine Sketchnote von Karl Damke zu unserem Forum.